Gut ausgebaute und instand gehaltene Straßen sind nicht nur die Visitenkarte eines Landes, sondern auch die Grundlage seines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.
Als die Baggerschaufel im lehmigen Erdreich auf etwas Hartes stieß, ahnten die Bauern im englischen Evesham in Worcestershire – ja, der Heimat der gleichnamigen, im Rest Europas unaussprechlichen Sauce – nicht, dass sie einer Sensation auf der Spur waren. Die seltsam regelmäßig verlegten Steine erwiesen sich nach eingehenden wissenschaftlichen Untersuchungen als Teil einer fast zwei Jahrtausende alten Römerstraße, wie sie sonst nur aus Rom und Pompeji bekannt ist.
Baumeister der Antike
Schon die Römer wussten um die Bedeutung haltbarer und belastbarer Verkehrsverbindungen: Das Motto „via est vita“, Straßen sind Leben, ist bis heute überliefert. Nicht nur ihre gefürchtete militärische Stärke, auch ihre für damalige Zeiten enorme Wirtschaftskraft und eine bis in den letzten Winkel wirksame Verwaltung verdankten sie einem aufwendig errichteten, rund 80 000 Kilometer langen, verästelten Straßennetz, das ihr riesiges Reich durchzog wie das Gefäßsystem den Körper. Schon damals wurde ein etwa einen Meter starker, mehrschichtiger Straßenkörper angelegt mit einer Decke aus grobem Kies oder Sand. Fernstraßen oder andere besonders belastete Stellen führten die römischen Baumeister mit Kopfsteinpflastern aus oder schlossen den Aufbau mit sauber verarbeiteten Steinplatten ab.
1200 Kilometer in zehn Tagen
Die Fahrbahndecke war bereits zu seitlichen Regenrinnen hin abgerundet, Kanäle verhinderten das Unterspülen. Noch heute, zweitausend Jahre später, legen erhaltene Straßenteile, oft auf ewig gezeichnet von den Furchen unzähliger Wagenräder, ein beredtes Zeugnis ab vom vorausschauenden Einfallsreichtum ihrer Erbauer. Der Erfolg war für damalige Zeiten enorm: So konnte die römische Post schon vor zweitausend Jahren dank guter Straßen und zahlreicher Relaisstationen die 1200 Kilometer lange Strecke von Mainz nach Rom in zehn Tagen bewältigen.
Wartungsstau gefährdet Arbeitsplätze
Dass im Jahr 4023 von unseren heutigen Straßenbauten noch viel übrig sein wird, was bei den Archäologinnen und Archäologen der Zukunft Euphorie auslöst, darf bezweifelt werden. Aber sowohl in ihrer Herstellung als auch in ihren ökonomischen Wirkungen sind moderne Straßen Kunstwerke der Technik, die meist über viele Jahrzehnte unauffällig ihren wichtigen Dienst verrichten. Dass sie uns Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern oft negativ auffallen, hat fast immer mit mangelhafter Wartung und zu knappen Straßenbaubudgets zu tun. Erst im vergangenen Oktober hat das ECONOMICA-Forschungsinstitut die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Straßen in Österreich analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass rückläufige Investitionen in die Instandhaltung 23 000 Arbeitsplätze in Österreich gefährden.
Via est vita, Teil 1
Die etwa 126 000 Straßenkilometer seien ein zentraler Produktionsfaktor für die österreichische Wirtschaft und das hohe Wohlstandsniveau. Die Straße gelte zudem als unverzichtbare Basis für den Umweltverbund (öffentlicher Verkehr, Radfahrer/ innen, Fußgänger/innen) und Zubringer zur Schiene, zu Flughäfen oder zu Wasserstraßen. Die Studienautorinnen und -autoren kritisieren, dass seit der Jahrtausendwende die Investitionen in Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur sinken. Erschwerend komme hinzu, dass Straßen seit dem Wegfall der Zweckwidmung der Mineralölsteuer im Wettstreit mit anderen wichtigen Budgetposten stehen, wie etwa sozialen Einrichtungen. Durch die Abnützung leide der Zustand der Straße enorm.
„Wir beobachten eine rückläufige Investitionsbereitschaft der öffentlichen Hand, die auch zu Lasten der Verkehrssicherheit geht und letztlich massive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben kann“, warnt daher Mario Rohracher, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (GSV) und Auftraggeber der Studie: „Wer rechtzeitig saniert, senkt die Instandhaltungskosten. Wer nicht investiert, der muss mittelfristig neu bauen.“
Bedrohte Brücken
Noch kritischer als den Straßenzustand bewerten die Expertinnen und Experten die Situation bei den Brückenbauwerken. Vier Prozent der rund 17 000 österreichischen Brücken sind mangelhaft oder in schlechtem Zustand. Jedes zweite Brückenbauwerk ist vierzig Jahre alt oder älter. „Bei Brücken besteht dringender Handlungsbedarf“, prophezeit Rohracher. Was passiert, wenn die Behörden zu lange wegschauen, erlebt derzeit Deutschland, wo eine mittlerweile mehr als ein Jahr dauernde Totalsperre, die bevorstehende Sprengung und der noch weitere Jahre dauernde Neubau der Rahmedetal-Autobahnbrücke bei Lüdenscheid im Sauerland eine ganze Region ins Chaos stürzt. „Wir fordern Investitionen in der Größenordnung von mehr als 800 Millionen Euro pro Jahr“, so Rohracher.
Das ist volkswirtschaftlich sogar ein Geschäft: „Jeder investierte Euro in die Straßenerhaltung löst weitere neunzig Cent an Investitionen aus“, rechnet Christian Helmenstein vor, ECONOMICA-Forscher und langjähriger Chefökonom der Industriellenvereinigung. „Nutznießerin ist letztlich nicht nur die Allgemeinheit, sondern vor allem auch die öffentliche Hand. Denn von den Gesamtinvestitionen in der Größenordnung von 1,1 Milliarden Euro fließen rund 300 Millionen Euro an sie zurück.“
Mangellage nimmt zu
In Deutschland dürfte der Wartungsstau noch weit dramatischer sein. In einer aktuellen Umfrage gaben 78 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie in ihrer Geschäftstätigkeit von kaputten Straßen und Brücken beeinträchtigt würden. Dabei spielen weder die Größe der Firma noch die Region eine maßgebliche Rolle. Die Autoren der Studie, Thomas Puls und Edgar Schmitz, gehen davon aus, dass sich die Lage weiter verschlechtern wird: Nach Jahren der Unterfinanzierung der Verkehrsnetze stelle der Staat nun zwar mehr Investitionsmittel zur Verfügung, sie würden allerdings durch die steigenden Baupreise aufgefressen. Und Besserung sei nicht in Sicht, denn erschwerend komme hinzu, dass Planungs- und Genehmigungsprozesse viel zu lang dauern und entlang der gesamten Investitionskette – von der Planung über den Bau bis hin zum Betrieb der Infrastruktur – die Fachkräfte fehlen würden: „Diese Mangellage wird voraussichtlich zunehmen.“
Via est vita, Teil 2
Die römische Erkenntnis, dass Straßen Leben sind, werden die im Verkehrschaos erstickenden Anrainer/innen der gesperrten A45 bei Lüdenscheid nicht mehr teilen. Genauso wenig wie die Menschen, die in Großstädten oder an Transitstrecken leben. Denn mehr Straßen, davon ist der Verkehrsclub Österreich überzeugt, sind nicht die Lösung, sondern das Problem. Der Ausbau des Verkehrsnetzes führe zwangsläufig zu mehr Verkehr: Durchschnittlich entstünden laut einer Metastudie von mehr als 100 Projekten rund 25 Prozent zusätzlicher, nicht vorhergesehener Straßenverkehr. Durch diesen induzierten Verkehr schwinde mit der Zeit der Geschwindigkeitsvorteil einer neuen oder ausgebauten Straße. „In der Praxis gut zu beobachten ist dies bei Autobahnen, die relativ bald nach Fertigstellung zusätzlicher Fahrspuren wieder überlastet sind. Im Zeitraum 2016 bis 2020 ist das Autobahnnetz in Deutschland um etwa zweihundert Kilometer gewachsen, Staus sind aber nicht etwa zurückgegangen, stattdessen haben sich die Staustunden in diesem Zeitraum beinahe verdoppelt. In Österreich wurde das Netz an Autobahnen und Schnellstraßen seit den 1980er-Jahren massiv ausgebaut, im selben Zeitraum hat der Autoanteil bei der Verkehrsmittelwahl stark zugenommen“, mahnt der VCÖ. Michael Schwendlinger: „Verkehr ist keine Naturgewalt. Er verlagert sich dorthin, wo das Angebot verbessert wird. Das gilt für den Bau von Straßen, aber auch für den öffentlichen Verkehr und für Radwege.“
Vorwärts, zurück aufs Fahrrad!
Österreich ist allerdings beim Klimaschutz ohnehin kein Musterschüler, sondern liegt mit einem CO2 -Ausstoß von mehr als neun Tonnen pro Kopf und Jahr über dem Durchschnitt der EU-Staaten, doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt. Rund dreißig Prozent der Treibhausgasemissionen Österreichs verursacht der Verkehrssektor. Im Mobilitätsmasterplan 2030 und im aktuellen Regierungsprogramm setzt sich Österreich das ambitionierte Ziel, den Verkehr bis zum Jahr 2040 CO2 -frei zu machen. Dazu muss sich der Straßenausbau allerdings verändern: Fahrbahnen oder einzelne Teile davon könnten auch anders genutzt, überbreite Fahrspuren zugunsten von Radwegen oder Busspuren verschmälert werden. Da bei niedrigerem Tempo die Breite des Fahrstreifens reduziert werden kann, bringen Temporeduktionen auch Flächeneinsparungen: In Kärnten wurde etwa eine überdimensionierte Landesstraße, die B83 bei Arnoldstein, von neun auf 7,5 Meter verschmälert. Auch in Niederösterreich auf der B11 zwischen Gaaden und Heiligenkreuz oder in Obsteig in Tirol auf der B189 wurde der Querschnitt der Landesstraßen reduziert. Auf allen drei Straßen wurde ein Sicherheitsstreifen abgefräst und begrünt. Der verbleibende Asphaltstreifen ist nun jeweils ein Radweg.
„Auch Elektroautos fahren nicht auf der Wiese“
Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Straßenbau für SWIETELSKY?
Jedenfalls eine sehr wesentliche, schließlich gehen unsere Ursprünge darauf zurück. Die Bauleistung des Unternehmens beläuft sich konzernweit im Straßenbau auf zuletzt etwa 690 Millionen Euro. Damit ist er die zweitgrößte Sparte im Unternehmen hinter dem Hochbau. Unsere Wertschöpfungstiefe ist aber im Straßenbau erheblich höher, das Geschäft insgesamt vergleichsweise stabil und berechenbar.
Der Straßenbau ist ein heißes Pflaster: Einerseits ärgern sich die Menschen vielerorts über den täglichen Stau, andererseits werden Ausbauprojekte aus Umweltschutzgründen hinterfragt, siehe Lobautunnel. Wie stehen Sie dazu?
Die wirtschaftliche Bedeutung des Straßenbaus darf nicht unterschätzt werden. Die positiven Impulse, die von diesen wichtigen Verkehrsadern ausgehen, beschäftigen Hunderttausende Menschen in gut bezahlten Berufen über die gesamte Fläche Österreichs. Ausreichende Investitionen garantieren überdies die Verkehrssicherheit. Vergessen wir bitte auch nicht, dass selbst der umweltfreundlichste Personenund Güterverkehr nicht am Bahnhof enden kann. Wenn wir ländliche Regionen lebenswert erhalten wollen, müssen wir auch die Infrastruktur dieser Regionen erhalten und weiter verbessern. Ansonsten befeuern wir eine Landflucht und das hätte mitunter auch umweltpolitisch sehr problematische Auswirkungen.
Straßen versorgen Menschen mit Waren und Lebensmitteln, bringen Wohlstand und Mobilität, belasten aber auch die Umwelt, stören ökologische Verbindungen und sind Schauplatz vieler Unfälle. Was kann ein Baukonzern wie SWIETELSKY dazu beitragen, dass Straßen für die Umwelt besser verträglich und sicherer werden?
Ich glaube, wir müssen von diesem dogmatischen Entweder-oder-Denken Abstand nehmen. Es gilt, intelligente Verkehrslösungen zu fördern. Das sind in der Stadt andere als am Land. Umweltauswirkungen müssen Berücksichtigung finden, aber die unsichtbare und ökologisch völlig neutrale Verkehrsinfrastruktur gibt es nicht. Verschiedene mitunter gegensätzliche Interessen müssen abgewogen werden. Bei SWIETELSKY sind wir jedenfalls breit aufgestellt, vom Straßenbau bis zum Bahnbau und selbstverständlich auch beim Bau moderner, umweltschonender Kraftwerke. Außerdem geht es nicht nur um die Frage des Ob, sondern auch um die des Wie. Kreislaufwirtschaft gewinnt an Bedeutung und wir forcieren das mit großen Anstrengungen im Unternehmen.
In Deutschland hat man festgestellt, dass Autobahnbrücken verrottet sind, die nun sogar gesprengt und erneuert werden müssen. Kann das in Österreich auch passieren?
Theoretisch schon, wenngleich wir in Österreich nach wie vor über eine weitgehend gut erhaltene Straßeninfrastruktur verfügen. Diese gilt es zu schützen. Die Kosten eines Verfalls der Infrastruktur sind nämlich enorm, sowohl finanziell als auch ökologisch.
Wird aus Ihrer Sicht das Baugeschäft der Zukunft im Ausbau oder im Rückbau liegen?
Weder der uneingeschränkte Ausbau noch der blinde Rückbau sind geeignete Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Wir brauchen intelligente Lösungen, Kreislaufwirtschaft, moderne Baustoffe, effiziente und qualitätssteigernde Bauprozesse, eine Wende im Güter- und Langstreckenverkehr sowie in der urbanen Mobilität hin zur Schiene. Und wir werden auch weiterhin ein intelligentes Straßennetz brauchen, denn auch Elektroautos fahren nicht auf der Wiese.
Straßen in Zahlen
Österreichs Straßennetz hat eine Länge von etwa 127 000 Kilometern (Stand 2019). Damit ist es rund 22-mal so groß wie das Schienennetz mit einer Länge von 5600 Kilometern. Die Infrastruktur für Radfahrer/innen macht nur 13 700 Kilometer (Stand 2013) aus. Radfahrstreifen auf der Fahrbahn sind dabei als eigenständige Fahrradinfrastruktur schon mitgerechnet.
Während das Netz an Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich zwischen den Jahren 2000 und 20200 um rund siebzehn Prozent beziehungsweise 320 Kilometer gewachsen ist, ist das Schienennetz im gleichen Zeitraum um rund neun Prozent beziehungsweise 535 Kilometer geschrumpft. Zudem wächst das Netz an Autobahnen und Schnellstraßen nicht nur in die Länge, sondern auch in die Breite. Während im Jahr 2000 der Anteil an Abschnitten mit drei oder mehr Spuren bei fünf Prozent lag, waren es im Jahr 2020 bereits achtzehn Prozent an drei- oder mehrspurigen Autobahnabschnitten.
In Österreich gibt es 2249 Kilometer Autobahnen und Schnellstraßen, das sind etwas mehr als 250 Kilometer pro Million Einwohner/innen. Damit hat Österreich im Verhältnis zur Einwohnerzahl ein um rund fünfzig Prozent größeres hochrangiges Straßennetz als der EU-Schnitt und ein um rund 55 Prozent größeres als Deutschland.
Wegen der dafür nötigen Verkehrsflächen sind etwa 1240 Quadratkilometer unseres Landes versiegelt, das ist knapp mehr als die Hälfte der gesamten versiegelten Fläche Österreichs, die zuletzt 2372 Quadratkilometer betrug. 96 Prozent davon sind Straßen und Parkplätze.
(Quelle: VCÖ)