Beton als Energiespeicher zu nützen, bringt eine Fülle an Vorteilen: Beton ist einfach einzusetzen, mit thermischer Bauteilaktivierung gilt er als Zukunftssystem zum Heizen und Kühlen ohne fossile Energie. Erste Anwendungsbeispiele stellen die Qualität des einfachen Konzepts unter Beweis.
Ein Gastbeitrag von Gisela Gary
Zement und Beton sind als Baustoff unersetzbar. Gebäude, die heute gebaut werden, legen den Grundstein für kommende Generationen, denn die Reduktion von CO2 wird das bestimmende Zukunftsthema sein. Das betrifft die gesamte Baustoffindustrie und die nachgelagerte Wertschöpfungskette. Die ambitionierten Klimaschutzziele fordern aber ebenso jeden Einzelnen. Heizen und Kühlen ist für dreißig bis vierzig Prozent des Energieverbrauchs in Europa samt zugehörigem CO2-Ausstoß verantwortlich. Bis 2040 muss der Gebäudebestand CO2-neutral werden. Das gelingt nur mit der Verringerung des Gesamtenergieverbrauchs durch eine gute Gebäudehülle wie auch den Einsatz von erneuerbaren Energieträgern. Beton bietet sich aufgrund seiner Speicherfähigkeit perfekt dafür an; die Technologie der Bauteilaktivierung ist so simpel wie eine Fußbodenheizung und die zahlreichen Referenzen versprechen eine starke Zukunft. Der österreichische Klima- und Energiefonds unterstützt im Rahmen des Programms „Energieflexibilität durch thermische Bauteilaktivierung“ die Anwendung der thermischen Speicherkapazität von Bauteilen. Er hat damit die Bauteilaktivierung als wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele in sein Programm aufgenommen. Die Förderung durch den Klima- und Energiefonds versteht sich als Impulsgeber und will die Bauteilaktivierung nun tatkräftig forcieren. „Seit einigen Jahren ist die Bauteilaktivierung als die günstigste und klimafreundlichste Heiz- und Kühlmethode auch im sozialen Wohnbau angekommen. Doch mit dem Vorstoß des Klima- und Energiefonds wird die Verbreitung nun rasant vorangehen“, ist Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie, überzeugt.
Speicherfähigkeit von Beton
Die Speichermasse von Beton ermöglicht, Wärme bzw. Kälte in Bauteilen aufzunehmen und über mehrere Tage zu speichern. Das prädestiniert das System für die Nutzung erneuerbarer Energie, da der Energiespeicher Beton dann „aufgeladen“ werden kann, wenn erneuerbare Energie – Wind, Sonne oder Erdwärme – vorhanden ist. Mit entsprechender Regelung oder Steuerung kann so der Anteil erneuerbarer Energie im Sektor Raumwärme bzw. -kälte signifikant erhöht werden. Die Kühlung mittels Bauteilaktivierung erfolgt mit hohen Temperaturen (19–22 °C) des Kühlmediums – also des Wassers in den einbetonierten Rohrleitungen. Dadurch kann das System sehr effizient betrieben werden, was sich wiederum positiv auf die Effizienz gekoppelter Systeme auswirkt, beispielsweise den Wirkungsgrad von Wärmepumpen. Mit der Bauteilaktivierung kann eine Kühlleistung von bis zu vierzig Watt pro Quadratmeter eingebracht werden, im Heizfall sind es knapp dreißig Watt pro Quadratmeter. Wichtige Faktoren sind dabei auch die Gebäudehülle, der Anteil verglaster Flächen sowie – insbesondere im Kühlfall – die Möglichkeit zur Verschattung bzw. ein entsprechender Sonnenschutz.
Die Bauteilaktivierung ermöglicht, die sommerliche Abwärme für den Winter zu nutzen: Bei der Kopplung mit Geothermie/Umweltwärme wird die Abwärme ins Erdreich geleitet und regeneriert das im Winter zuvor ausgekühlte Erdreich. Im Winter wird die Wärme dem Boden wieder entzogen und den Räumen über Wärmepumpe und Bauteilaktivierung zugeführt. Der Energiespeicher Beton kann beliebig oft be- und entladen werden und hat eine unbegrenzte Lebensdauer. Die Errichtungskosten bewegen sich in der Höhe vergleichbarer Systeme, wie etwa der Fußbodenheizung. Die Energiekosten liegen in gut gedämmten Gebäuden bei ein bis zwei Euro pro Quadratmeter und Jahr. Die Besonderheit ist das Wohlfühlklima, das durch die Bauteilaktivierung entsteht – es gibt keine Radiatoren, sondern eine angenehme Strahlungswärme oder -kühle. Zudem arbeitet das System nicht nur völlig zugfrei, sondern auch geräuschlos.
Beispiele im sozialen Wohnbau
Neben Gewerbebauten gibt es mittlerweile zahlreiche mehrgeschossige Wohnbauten, die auf Bauteilaktivierung setzen. In der Mühlgrundgasse im 22. Wiener Gemeindebezirk wurde vom Wohnbauträger Neues Leben in Kooperation mit dem Immobilienentwickler M2plus Immobilien GmbH eine Wohnhausanlage mit 155 Wohnungen errichtet. Die Wärme für Beheizung und Warmwasser wird im MGG22 über Sole-Wasser-Wärmepumpen in Verbindung mit Erdwärme-Tiefensonden erzeugt, im Sommer wird das Sondenfeld regeneriert. Insgesamt wurden dreißig Erdsonden mit je 150 Metern gebohrt und verbaut. Beton dient als Speichermasse – zudem kann auch überschüssige Windenergie im Beton gespeichert werden.
In Sommerein entstand der erste soziale Wohnbau Niederösterreichs, der auf thermische Bauteilaktivierung setzt. Architekt Ralf Steiner, AW Architekten, schlug dem Bauträger die thermische Bauteilaktivierung als alternatives Heiz- und Kühlsystem vor. Er betont vor allem das Wohnwohlgefühl, das er bereits von seinem eigenen Haus kennt: „Das System der thermischen Bauteilaktivierung ermöglicht umweltfreundliches Heizen und Kühlen, mit einem einzigartigen Komfort. Es gibt keine Zugluft, die Strahlungswärme temperiert die Räume gleichmäßig.“ Der gemeinnützige Bauträger Südraum/EBSG ist stolz, nun zu den Vorreitern in puncto Klimaschutz wie auch leistbarem Wohnraum zu zählen.
Leistbar mit hohem Komfort
Das „Viertel hoch Zwei“ in Theresienfeld ist ein weiteres Erfolgsbeispiel im sozialen Wohnbau. Vier Viertelhäuser mit Garten, darüber zwei Dachgeschosswohnungen: Die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Arthur Krupp GmbH errichtete gemeinsam mit Steinkogler Aigner Architekten eine Alternative zum Einfamilienhaus. Der neue Wohntyp mit geringem Flächenverbrauch erreichte mit 859 Punkten klimaaktiv Gebäudestandard Silber. Das Pilotprojekt besteht aus 28 Wohneinheiten in vier Gebäuden. Auf den ersten beiden Etagen befinden sich jeweils vier rund hundert Quadratmeter große Familienwohnungen. Die Gebäudehülle wurde in Passivhausqualität ausgeführt. Die Raumheizung erfolgt durch eine Wärmepumpe mit Bauteilaktivierung. Das Wohngebäude fungiert somit als „thermische Batterie“ für die stark volatile Stromerzeugung aus Wind und Sonne. Optimale Lebenszykluskosten standen hinter allen Systementscheidungen und ermöglichen niedrige Mieten von circa achthundert Euro für circa einhundert Quadratmeter und fünf Zimmer. Die Energiekosten liegen, dank dem Heizwärmebedarf von 26 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, um etwa sechzig Prozent unter vergleichbaren Wohnungen.
Spaun beschreibt eine Herausforderung, die gemeinsam bewältigt werden muss: „Der Energieausweis und aktuelle Berechnungstools für den Heizwärmebedarf bilden das Potenzial und die Stärken der Bauteilaktivierung nur ungenügend ab, deshalb muss das System oft mit komplizierten Simulationstools ausgelegt werden. Hier können einfache Auslegungs- und Berechnungstools für die Bauteilaktivierung Abhilfe schaffen, die auch in gängige Normen und Richtlinien Eingang finden müssen, um den Planern Rechtssicherheit zu bieten.“ Eine weitere Herausforderung liegt im Bestand, denn auch in der Sanierung kann mit thermischer Bauteilaktivierung der Wohnkomfort erheblich gesteigert werden.
Perfekt im Schulbau
Der soeben eröffnete Bildungscampus Liselotte Hansen-Schmidt in der Seestadt Aspern, geplant von Karl und Bremhorst Architekten, wird ebenfalls mithilfe von Bauteilaktivierung beheizt und gekühlt. Der Bildungscampus der Stadt Wien beherbergt einen Kindergarten, eine Volksschule, eine neue Mittelschule sowie sonderpädagogische Einrichtungen. Insgesamt können bis zu 1100 Kinder und Jugendliche ganztägig betreut werden. Gleich neben dem Campus gibt es ein Jugendzentrum, ein Café, einen Veranstaltungsraum sowie viele Sportflächen. Geheizt und gekühlt wird fast ohne fossile Energie. Die Erdwärme bzw. im Sommer die Kühle werden über die Wärmepumpe im gesamten Gebäude verteilt, mithilfe von Wasserrohren, die in die Betonbauteile eingelegt wurden und Beton ideal als Speichermasse nutzen. Die Wärmepumpe wird direkt von der Photovoltaikanlage am Dach mit Strom versorgt. Der Bildungscampus ist damit energietechnisch weitgehend autark und setzt ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen.