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Gleisbauarbeiten für Wiens größtes Klimaschutzprojekt

25.03.2022, Lesezeit 8 Minuten
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Die SWIETELSKY-Tochtergesellschaft Kallinger Bau arbeitet am Gleisbau für das neue Wiener Linienkreuz U2xU5. Enormer Zeitdruck, beengte Platzverhältnisse und logistischer Denksport sind bestimmende Elemente des Projekts.

Im 1. Wiener Gemeindebezirk tut sich so einiges. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, doch in letzter Zeit kann man auch abseits der in Prachtbauten angesiedelten Büroräume rund um Rathaus, Parlament, Volkstheater und Co. ein reges Treiben beobachten. Hinter jeder Ecke wartet eine neue Baustelle, die meist tief in den Untergrund ragt: Die Hauptstadt bekommt mit der U5 eine neue U-Bahn-Linie (wie berichtet). Für einen beträchtlichen Anteil der Gleisarbeiten ist das SWIETELSKY Tochterunternehmen Kallinger Bau verantwortlich. Die Prunkhäuser spielen aber auch hier eine Rolle: Einige Gebäude werden von der neuen Verbindung unterirdisch mit nur wenigen Zentimetern Abstand tangiert – extreme Vorsichtsmaßnahmen sind daher erforderlich, die gewohnte Präzisionsarbeit Kallingers ist besonders gefragt.

Die Kallinger Bau GmbH ist Teil der Bahnbausparte der SWIETELSKY-Unternehmensgruppe und auf die Errichtung von Infrastruktur für Straßenbahn und U-Bahn spezialisiert. Das Unternehmen ist Experte im konventionellen Gleisbau und bildet somit die perfekte Ergänzung zum industriellen Verfahren mit Großmaschinen. Mit Leistungen wie dem Neubau und der Erneuerung von Gleisanlagen aller Spurweiten als Feste Fahrbahn, Grüngleis oder Schotteroberbau ist das gesamte Spektrum der Branche abgedeckt. Dazu gehören der Gleisabtrag und Abbrucharbeiten genauso wie Erd- und Unterbauarbeiten, aber auch die Errichtung von Haltestellen und Betriebsinfrastruktur. Sonderbauformen wie Gruben-, Ständer- und Testgleise stellen für Kallinger kein Problem dar. Ideenreichtum und Flexibilität bieten die Gleisbauer etwa bei Oberflächeneindeckungen mit Asphalt, Beton, Pflaster und Fertigteilen sowie der Schienenbeschichtung, -dämmung und -isolierung. Bei einem Mammutprojekt wie dem Linienkreuz U2xU5 ist diese ganzheitliche Problemlösungskompetenz ein großer Vorteil.

Der Vierzehn-Millionen-Auftrag wurde vom Generalunternehmer ARGE U2xU5 Rathaus/Frankhplatz (SWIETELSKY – Habau – Hochtief) vergeben. Kallinger Geschäftsführer Jörg Dallner freut sich über ein weiteres Projekt im Wiener U-Bahn-Bau: „Wir können diesbezüglich auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken und waren an einer Vielzahl von Neubau- und Erneuerungsprojekten beteiligt. Es ist uns eine Ehre, auch bei dieser Ausbaustufe wieder einen wesentlichen Beitrag leisten zu dürfen.“ Die U5 wird im ersten Schritt die bestehenden U2-Bahnsteige der Stationen Karlsplatz, Museumsquartier, Volkstheater und Rathaus übernehmen und zunächst zum Frankhplatz im Universitätsviertel ausgebaut. Die U2 bekommt dafür ab der Station Rathaus einen neuen Süd-Ast. Die Verlängerung und der Tausch zweier U-Bahnen ist für den U-Bahn-Ausbau in Wien eine Premiere. Aktuell ist Kallinger im Bereich der Station Schottentor beschäftigt, wo künftig die Weichen für die Abzweigung in den neuen Tunnel Richtung Rathaus gestellt werden. Bauleiter Bernhard Graf verantwortet seitens Kallinger die Arbeiten und gibt im Interview Einblicke in die Tätigkeit im Untergrund der Inneren Stadt.

„Unser stärkstes Gerät ist die Manpower“

Kallinger-Bauleiter Bernhard Graf im Gespräch über die technischen und logistischen Herausforderungen und wie wichtig trotz umfassendem Maschineneinsatz immer noch die geballte Kraft der Mitarbeiter ist.
Herr Graf, welche Bedeutung hat das Linienkreuz U2xU5 für Kallinger?

Unser Baubüro befindet sich direkt visà-vis der Amtsräume des Wiener Bürgermeisters – das scheint bezeichnend für die Wichtigkeit unserer Arbeit zu sein. Das Linienkreuz U2xU5 ist das erste U-Bahn-Projekt im Zentrum der Stadt seit dem Bau der U3 vor etwa dreißig Jahren. Rund 370 000 Menschen, die im unmittelbaren Einzugsbereich der neuen Strecken leben und arbeiten, profitieren direkt vom Netzausbau. Auch die Umwelt wird dadurch bedeutend entlastet: Bis zu 75 000 Tonnen CO2 sollen pro Jahr durch die Verlagerung des Autoverkehrs auf die Öffis eingespart werden – somit gilt das Vorhaben aktuell als größtes Klimaschutzprojekt der Bundeshauptstadt. Die Linien U2 und U5 mitsamt dem Knotenpunkt am Rathaus zählen künftig zu den höchstfrequentierten öffentlichen Verbindungen Wiens und wir dürfen dabei einige kritische Abschnitte umsetzen. Es ist tatsächlich das bisher größte Projekt der Firmengeschichte von Kallinger.

Welche Leistungen beinhaltet Ihr Auftrag im Detail?

Insgesamt werden vier Kilometer Feste Fahrbahn – oder, wie es in Wien heißt: „schotterloser Oberbau“ – gebaut. Bei dieser Oberbauform errichten wir mit Beton eine dauerhaft stabile Gleislage. Im Tunnel sorgt das eingebaute Masse-Feder-System dafür, dass sich die Erschütterungen nicht in die Umgebung ausbreiten, was besonders in Innenstadtlagen sehr wichtig ist. Ein weiterer Teil des Auftrags war der Abbruch der bestehenden Gleisanlagen der U2.

Warum mussten die Gleise abgetragen werden?

Der Bestand ist aus den 1980er-Jahren und somit grundsätzlich gut intakt – wo es möglich ist, bleibt er erhalten, etwa als Betriebsgleis. Aufgrund der Erweiterung um die neue Linie U5 müssen jedoch Weichenanlagen gebaut werden, wofür es nötig war, die alten Gleise teilweise abzutragen und neue Verbindungsstücke zu errichten.

Sie erwähnten vorhin das „Masse-Feder-System“ – was kann man sich darunter vorstellen?

Diese Systeme dienen der Dämmung des Körperschalls. Dafür wird unter der gleistragenden Betonplatte eine flexible Kunststoffmatte verlegt, die die Erschütterungen ableitet. Zur Ausführung gelangt hier hauptsächlich ein Bi-Block-Schwellenoberbau, wobei die Schwelle selbst zusätzlich mit einer elastischen Zwischenlage ummantelt ist, um ebenfalls Schwingungen zu verringern.

Können Sie die genaue Vorgehensweise des Gleiseinbaus beim Projekt im Detail erläutern?

Auf dem vorbereiteten Seitenbeton werden zuallererst die für den Gleisbau notwendigen Materialien wie Schienen, Schwellen, Bewehrung, Schalldämmmatten und die Gleishebe- und Richtsysteme ausgebracht. Nur in diesem frühen Stadium ist noch eine Befahrbarkeit mit schwerem, nicht schienengebundenem Gerät möglich. Auf dem Unter- und Seitenbeton samt integrierter Entwässerung und Kabelwegen werden nun wannenförmig die der Schalldämmung dienenden Sylomermatten ausgelegt und zugeschnitten. Nachdem die Bewehrung verlegt und die erste Ebene der neuen Gleistragplatte betoniert wurde, können mit einem Minibagger paarweise die Bi-Block-Schwellen verlegt werden. Danach werden die Schienen eingehoben, montiert und mittels einer Hilfskonstruktion die Spurweite eingestellt – wir bewegen uns hier in einem Bereich von –0/+4 Millimetern. Durch zwei spezielle Hebe- und Richtsysteme folgt nun das Grobrichten und im nächsten Arbeitsgang das Feinrichten des Gleises. Beim Feinrichten ist absolute Präzision das Um und Auf, weshalb für diesen Schritt ein Vermesser hinzugezogen wird. Durch ihn erfolgt auch die Freigabe zum Betonieren der zweiten Ebene der Gleistragplatte. Eine versteckte Finesse ist die Halterung für die Stromführung. Auch hier haben wir strengste Vorgaben hinsichtlich Toleranzen, die wir mit unseren selbst entwickelten Werkzeugen effizient erfüllen können. Der Beton wird schließlich mittels Betonpumpe durch eine Einbringöffnung zur Einbaustelle gefördert. Beginnend bei der Maximallänge wird der Pumpschlauch entsprechend dem Arbeitsfortschritt Stück für Stück gekürzt, wir arbeiten uns also in Richtung Öffnung zurück.

Welche Geräte sind für diese Arbeiten notwendig?

Beim Verlegen der Gleise kommen Zweiwegebagger, Schwenkschaufellader, Minibagger, Schienenumsetzgeräte und die erwähnten Gleishebe- und Richtsysteme zum Einsatz. Unser stärkstes Gerät ist aber jedenfalls die Manpower – die geballte Kraft unserer Mitarbeiter ist bei allen Arbeitsschritten unerlässlich.

Gab es bisher besondere Herausforderungen beim Bau des U-Bahn-Kreuzes?

Die Vorarbeiten und Planungen für Geräte wie für Material- und Personaleinsatz erfordern bei jedem Abschnitt eine durchdachte Logistik. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse und der begrenzten Verfügbarkeit von Einbringöffnungen stellen sie eine besondere Herausforderung dar. Aber auch die überirdische Infrastruktur läuft nicht immer friktionsfrei: Fast jede Materialanlieferung muss durch das Labyrinth aus Verkehrsabsperrungen und -umfahrungen telefonisch ans Ziel navigiert werden. Darüber hinaus dürfen die im Vorjahr allgegenwärtigen Lieferschwierigkeiten jedenfalls nicht unerwähnt bleiben; in solchem Ausmaß habe ich das noch nie erlebt. In einigen Fällen bekamen wir Lieferungen erst unmittelbar zur Deadline. Aber: Von unserer Seite läuft bisher zum Glück alles nach Plan, die pönalisierten Zwischentermine konnten gehalten werden.

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Viele Hände, rasches Ende: Bei den Betonarbeiten muss ein großes Team auf wenig Raum perfekt zusammenspielen.
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Die Bi-Blockschwellen sind bereits verlegt – die Schienen müssen noch montiert und die Spurweite justiert werden, bevor das Gleis betoniert wird.
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Licht am Ende des Tunnels: Innerhalb von nur knapp zwei Stunden arbeiten sich die Profis beim Betonieren rund vierzig Meter in Richtung Einbringöffnung abschnittweise vorwärts.
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Die Arbeiten am Gleis 1 unmittelbar nach der Station Schottentor sind bereits beendet, der Bereich dient den U-Bahn-Zügen als „Durchrutschweg“.
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Derzeit noch ein Material- und Gerätelager, werden sich hier künftig die Weichen für die Strecke in den neuen Tunnel befinden, der in etwa beim gelben Zweiwegebagger nach links abzweigen wird.
Bild 6 Dsc2069
Unter der Folie befinden sich die empfindlichen Stellschrauben für die Feinjustierung der Schienen.